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In memoriam an Florian Laschinsky .......

01. 11. 2020

Der Verein möchte mit dieser kleinen Geschichte aus dem Roman „ICH LENKE ALSO BIN ICH " an

Florian Laschinky (geboren am 11.11.1935 – verstorben am 25.01.2019) erinnern, der im November 85 Jahre alt geworden wäre. Florian war Rennfahrer, hatte im Verein verschiedene Funktionen inne und war zuletzt Jugendtrainer unseres Vereins. Sein Trainingszentrum auf dem Dachboden über seiner Wohnung war legendär.

 

 

In Laschinskys Folterkammer 

 

Das Grauen versteckt sich in einem unscheinbaren Wohnhaus. Kleine Mädchen schieben ihren Puppenwagen über den mit Teppichen ausgelegten Hausflur, die den Schall schlucken. Die Büsche und Blumen im Hinterhof machen einen gepflegten Eindruck. Gelegentlich bellt ein Hund.

 

Man mag nicht glauben, dass mitten in dieser Friedlichkeit ein Mann lebt, der unter dem Dach wehrlose Opfer bis an die Grenze der Besinnungslosigkeit quält. Der ihnen Schmerzen zufügt, die ein Mensch kaum aushalten kann und sie anschließend mit einem Lächeln nach Hause schickt. Niemand hat es bislang geschafft, diesen Mann zu stoppen. Auch Ich werde ihm das Handwerk nicht legen können. Weil ich es gar nicht will. Denn heute ist der erste Tag vom Rest meines Rennfahrerlebens: Ich befinde mich auf Laschinskys Dachboden. Er nennt ihn „meine Folterkammer“. Ich kann sagen: Das ist nicht übertrieben. Es sind nicht viele Angaben, die in seinem Profil als sportlicher Leiter auf der Internetseite des Vereins stehen. Geboren: November 1935. Hobby.: Der Verein. Erfolge: nicht mehr aufzählbar. Ein Blick auf seinen Dachboden reicht, um zu wissen, dass der Mann auch da nicht gelogen hat. Die beiden Räume sind tapeziert mit Bildern von Radsportlern, die er im Laufe von Jahrzehnten fit gemacht und denen er vor den Rennen die Waden massiert hat. Dazwischen leicht bekleidete Fitnessladys aus US-Zeitschriften, denen er die Waden wahrscheinlich gern massiert hätte.

 

An den Wänden hängen Urkunden, Siegerkränze, eine Banderole von 1957, dem Jahr, als er zum ersten Mal Vereinsmeister wurde, und am Türrahmen eine Fahrradkappe aus der Zeit, als man den Schädel noch mit einem Geflecht aus gepolsterten Plastikstreifen schützte. Ganz klein, direkt vor dem Ergometer und in diesem Mosaik aus zum Teil vergilbten Fotos kaum zu erkennen, klebt eine Botschaft, die so etwas ist wie Laschinskys Kategorischer Imperativ:“ Wer sich nicht quälen will, kann auch nicht siegen.“

 

Ich liebe solche Sprüche. An ihnen kann ich mich festkrallen, wenn ich an nichts anderes mehr denken kann als eine Schrottpresse, die grade mein Fahrrad zu einem Klumpen aus Aluminium und Gummi verarbeitet. Man kann ja nicht ernsthaft behaupten, das Rennradfahren das pure Vergnügen wäre. Wer das behauptet, lügt oder hat noch nie erlebt, wie es ist, wenn man unterwegs der Reihe nach mit all seinen Körperteilen in Streit gerät. Erst sind es die Beine, die bei Kilometer 60 die Frage aufwerfen, wer sich eigentlich den Quatsch ausgedacht hat, sich bei 12 Grad auf eine Hundert-Kilometer-Tour einzulassen. Bei Kilometer 80 kommen die Arme und drohen damit, alles hinzuwerfen. Irgendwann treten die Muskeln in sämtlichen Gliedmaßen in einen Solidaritätsstreik, den man mit einer Banane fürs Erste abwiegeln kann. Gegen Ende aber verbünden sich Magen und Darm und quittieren die Qual mit einem ordentlichen Kampf, der einem die Galle in den Mund treibt.

Wenn man sich in einer solchen Situation nicht auf Durchhalteparolen stützen kann, die einem irgendwo am Horizont das Ende aller Schmerzen verheißen, wird man nach der Tour nie wieder aufs Rennrad steigen. Jeder Rennfahrer kennt solche Momente. Für die meisten entwickeln sich sie sich irgendwann zu einem perversen Vergnügen. Zwischen Rennradfahrern und anderen Verhaltensauffälligen gibt es nur einen Unterschied: Wir strampeln uns ein -zweimal in der Woche die Seele aus dem Leib und können deshalb an den anderen Tagen ein einigermaßen normales Leben führen. Weil wir bereit sind, uns zu quälen. „Genug gequatscht“, sagt Laschinsky, der sich sogar fürs Training das Vereinstrikot übergezogen hat: eine Jacke in Rot mit je einem roten, gelben und grünen Streifen und dazu passendem Rennfahrermützchen. „Rauf auf das Ergometer.“

 

Mit jedem Neueinsteiger mach der zu Beginn einen Eignungstest. 15 Minuten bei 150 Watt, dabei wird der Puls gemessen. Danach gibt es eine Ruhephase von einer Minute. So stark sich in dieser Zeit der Puls abbaut, so steht es um das Leistungsniveau. Pro zehn Schläge verbessert sich die Zensur um eine Note. Wer 60 Schläge abbaut, bekommt eine Eins, wie in der Schule. Foltermeister Laschinsky muss schließlich wissen, mit wem er es zu tun hat.

 

Am Anfang läuft noch alles glatt. Nach etwa zehn Minuten aber kann ich vor lauter Schweiß, der mir in die Augen läuft, nichts mehr sehen. „Deine Muskeln fangen an zu weinen“, sagt Laschinsky und lacht. Vor der Rente hat er bei der Berliner Polizei als Personenschützer gearbeitet. Er hat Bundespräsidenten und amerikanische Botschafter bewacht. Außerdem war er zuständig für das Training der Kollegen. Nachdem er die eines Abends so getriezt hatte und sie  schweißnass in der Kabine saßen, kam ein Vorgesetzter in den Raum. „Wundern sie sich nicht, sagte einer aus der Runde. Es hat nicht geregnet, Wir haben nur mit dem Verrückten trainiert“ erzählt Laschinsky stolz.

 Nach fünfzehn Minuten frage ich mich an diesem Nachmittag zum ersten Mal, warum es im Leben eigentlich immer nur ums Gewinnen gehen muss. Wenn man sich ein bisschen weniger quält, wird man eben Zweiter oder Dritter. Oder letzter. Es muss doch auch Menschen geben, die ganz am Ende ins Ziel rollen. Doch dann drückt Laschinsky nach der Ruheminute auf den Auswertungsknopf, sieht mich an und sagt:“ Donnerwetter, eine glatte Eins.“ Ich fasse neuen Mut.

 

In den folgenden eineinhalb Stunden jagt Laschinsky mich durch seinen Parcours der Schmerzen. Wir werfen uns Medizinbälle zu und Boxen auf den Sandsack, den er in den Türrahmen gehängt hat. „Man braucht ja auch einen starken Oberkörper“, sagt er. Er scheucht mich auf Maschinen, mit denen man sein eigenes Körpergewicht nach oben stemmt und leg mich auf die Hantelbank. Um mich nicht nur zu quälen, sondern auch zu demütigen, absolviert er mit seinem 76 Jahren jede Übung auch selbst. Man muss den Athleten erst brechen, bevor man ihn formen kann.

 

Nach der dritten und letzten Viertelstunde auf dem Ergometer fällt mein Blick auf ein Bild des jungen Arnold Schwarzenegger.

„Der hat früher nicht weit weg von hier trainiert“ sagt Laschinsky, der noch Bubi Scholz in der Waldbühne boxen gesehen hat. Von Schwarzenegger habe ich mal gelesen, dass er sich beim Trainieren mit einem Satz von Abraham Lincoln motiviert hat         “Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt.“ Das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich mich zum Ende des Trainings so einsam fühle.

 

Anschließend sitzen wir im Wohnzimmer ein Stockwerk tiefer. Im Fernsehen läuft gerade die Übertragung der Tour de France. Laschinsky drückt mir einen Aufnahmeantrag für die „Idunen“ in die Hand.„Wenn du wiederkommst, machen wir weiter. Aus dir können wir was machen.“ Große Hoffnung hat er aber offenbar nicht. „Von zehn bleibt höchstens einer.“

 

Ich kann ihm für den Moment nicht versprechen, dass nicht auch ich ihn enttäuschen werde. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich es lebend die vier Etagen nach unten schaffe. Als ich mich Stufe um Stufe zum Ausgang schleppe, bellt aus der Wohnung im zweiten Stock ein Hund. Durchs Fenster sehe ich die im Innenhof spielenden Kinder. Diese Idylle ist nichts als ein einziger, großer Schwindel.

 

# Diese kleine Geschichte über Florian Laschinsky entstammt dem Roman „ICH LENKE ALSO BIN ICH – Bekenntnisse eines überzeugten Radfahrers“ von Kai Schächtele erschienen 2012. Kai war eine Zeit lang Mitglied unseres R.V. IDUNA.

#ewe